Fata-Morgana-Technologien

“Kohlendioxid lässt sich in naher Zukunft einfach aus der Luft filtern und im Boden verpressen. Daher können wir uns den Aufwand für die Energiewende sparen und guten Gewissens weiter Öl, Kohle und Gas verbrennen.”

“Verkehrsstau gibt es nicht mehr und den Straßenbau brauchen wir bald auch nicht mehr, denn Flugtaxis sind so gut wie einsatzbereit und öffnen den Luftraum für den Massenverkehr.”

Immer wieder begegne ich solchen hoffnungsvollen Ankündigungen, die neue technische Lösungen für bislang offene Probleme versprechen. Aber Vorsicht! Oft werden diese Entwicklungen als reifer und relevanter vermarktet, als sie realistisch betrachtet sind. Ich nenne sie daher “Fata-Morgana-Technologien”. Wie Luftspiegelungen verschwinden sie in der Ferne, wenn man versucht, ihnen näherzukommen. Schlimmer noch, sie lenken von realen Lösungen ab oder blockieren diese sogar.

Was meine ich genau? Oft wird eine neue Lösung

  • für ein reales technisches Problem als leicht und schnell erreichbar dargestellt,  Fragen seinen kaum noch offen.
  • als kostengünstiger gegenüber andere Lösungsideen präsentiert und beworben.
  • überbewertet, indem das Problem in seiner Relevanz überzeichnet und andere Lösungswege schlechtgeredet werden.
Kernfusion: Das Paradigma für eine Fata Morgana

Die bekannteste dieser Technologien ist sicherlich die Kernfusion.  Ja, ihr Fata-Morgana-Charakter hat sogar zu dem bekannten Physiker-Scherz geführt, es gäbe eine Fusionskonstante, die den Zeitraum bis zur ersten erfolgreichen Energiegewinnung aus Kernfusion bemisst und deren Wert unverrückt bei mindestens 30 Jahren läge. Eine sichere und günstige Energiegewinnung ist ein zentrales Menschheitsproblem, aber weder ist ein Fusionsreaktor leicht noch schnell erreichbar. Experten sehen das Erreichen des Tripelpunkts, also die für einen Fusionsprozess nötige Mindestkombination von Temperatur, Druck und Dauer in weiter Ferne.

Dies wäre nicht problematisch, wenn nicht Gruppen mit wirtschaftlichen und politischen Eigeninteressen das Gegenteil suggerieren würden. Warum fällt mir hier der bayerische Ministerpräsident ein? Erneuerbare Energien seien unnötig oder höchsten Übergangslösungen, weil ja mit der Kernfusion in naher Zukunft unbegrenzt Energie zur Verfügung stünde.  Richtig wäre stattdessen, festzustellen, dass Fusionskraftwerke auch beim optimistischsten Zeitpfad für die unverzichtbare CO2-Neutralität zu spät kommen und somit keinen Betrag zum Bremsen des Klimawandels leisten können.

Flugtaxis: Fata Morgana am Himmel

Ein anderes Beispiel sind Lufttaxis, insbesondere ihre eVTOL-Variante (elektrische Senkrechtstarter). Unternehmen wie beispielsweise Lilium und Volocopter versprachen, senkrecht startende elektrische Flugzeuge seien marktreif und würden ein relevantes Mobilitätsproblem lösen. Ernsthafte Berechnungen und Warnungen, dass die heutige Batteriedichte nur sehr kurze Flüge zuließe, wurden ignoriert. Der Nachweis, dass eine solche Nischenlösung, die Verkehrsprobleme großer Ballungsräume nicht oder nur marginal verringern könne, wurde weggeredet. Nun sind diese beiden Firmen insolvent. Bezeichnend scheint mir, dass keiner der vielen Multimilliardäre in diese Technologie auch nur einige Hundert Millionen investieren wollte. Deren Analysten hatten den Täuschungscharakter offensichtlich genau erkannt – im Gegensatz zu der neuen deutschen Forschungsministerin Bär, die geradezu in Flugtaxis vernarrt ist.

Hyperloop: Fata Morgana am Boden

Auch das Konzept des Hyperloop weist viele Merkmale einer Fata Morgana auf: Bewusst als billigere Alternative zum Hochgeschwindigkeitszug positioniert, ist auch 10 Jahre nach seiner Präsentation unklar, ob es realisierbar ist und wie offene Fragen der Sicherheit, die Realisierung von Weichen und von Haltestellen gelöst werden. Realistische Kostenschätzungen liegen nicht vor. Aber die Behauptung, eine günstige Alternative zum Zug anbieten zu können, hat dessen Ausbau, gerade in den USA, wesentlich erschwert.

Corbon Capture and Storage (CCS): Gefährliche Ablenkung von der Energiewende

Die Idee, CO2 aus der Luft zu filtern und zu dauerhaft im Boden oder Meer zu speichern, ist grundsätzlich realisierbar. Sie droht aber, das Ziel, CO2 einzusparen, zu erschweren und aufzuweichen. Warum Emissionen mit viel Aufwand und Kosten senken, wenn man sie hinterher unschwer wieder “einsammeln” kann? Dabei wird übersehen oder absichtlich verschwiegen, dass der Prozess aufwendig und seinerseits energieintensiv ist und bisher nicht über Versuchsanlagen in der Größenordnung von einem Millionstel der Weltemission hinaus gekommen ist. Ein typischer Nebelwerfer oder eben eine technologische Fata Morgana, der von einschlägigen Kreisen begierig aufgenommen wird. Dies schließt nicht aus, dass nach allen Einsparungen eventuell zusätzlich CO2 aus der Luft gefiltert werden muss, um die Klimaziele nicht völlig zu reißen.

Ist autonomes Fahren auch eine Fata Morgana?

Noch ein Gedanke zum autonomen Fahren. Auch hier habe ich den Eindruck, dass zumindest einige Kriterien eine Fata Morgana erfüllt sind. Bleiben die für die nahe Zukunft versprochenen Fahrzeuge nicht schon lange aus? Scheitern die 99%-Lösungen nicht immer noch an Sondersituationen? Aber selbst wenn diese gelöst werden würden, dürfte das Geschäftsmodell des autonomen Fahrens weit überschätzt sein. Zum einen, weil sehr viele Menschen ihr eigenes Fahrzeug behalten wollen. Zum anderen, weil die Nachfrage nach Fahrdienstleistungen nicht gleichmäßig über den Tag verteilt ist, sondern Morgen- und Abendspitzen besitzt. Diese werden nur schwer abzubauen sein. Die Behauptung, die Fahrzeugzahl auf unseren Straßen deutlich zu reduzieren, wird also nicht erfüllbar sein. Und auch hier wird von den tragfähigen Mobilitäts-Alternativen zumindest abgelenkt, wie z.B. Ausbau des Rad- und ÖPNV-Angebots oder eine kluge, Wege vermeidende Stadtplanung.

 

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