Wie fühlt sich ein Shitstorm an?

Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: “Nicht wirklich gut”, die etwas längere: “Nicht gut, aber klein bei zu geben wäre die falsche Reaktion und man kann sehr viel daraus lernen”.

Aber der Reihe nach. Der Anlass hat nichts mit meiner politischen Arbeit zu tun. Gelegentlich arbeite ich an der Online-Enzyklopädie Wikipedia mit.  Als Autor (Name “Nillurcheier”) habe ich eine Änderung im Artikel “Elias Davidsson” zurückgesetzt.

Ein anonymer Autor hatte die Aussage “vertritt verschwörungstheoretische Positionen”, die seit langem in dem Artikel stand, mit einer fragwürdigen Begründung gelöscht. Ich habe diese Löschung rückgängig gemacht.

Daraufhin wurde ich in einem Video (Video #48 der Gruppe Wikihausen, ab Minute 46, auf YouTube zu finden, ich verlinke bewusst nicht) als Verleumder und ähnliches an den Pranger gestellt. Meine E-Mail-Adresse und Telefonnummer wurden eingeblendet und es wurde sehr deutlich dazu aufgefordert, “mir zu sagen, was man von meinen Aktivitäten hält”

Danach habe ich etliche Mails und Anrufe erhalten, ich zitiere mal drei:
Herr G.G. schreibt: “diese Art der Gesinnungspolizei, die auch Sie persönlich auch ausüben, ist so widerwärtig, dass mir die Worte fehlen”
und “Sie sind wirklich ein Schandfleck für die Gesellschaft mit der Art wie Sie auftreten.”
und Herr H.M. schreibt: “Sie dürfen dies gerne als Drohung mit dem Straf- und Zivilrecht verstehen.”

Da die Schreiber schnell auch auf meine politischen Aktivitäten stießen, diese Seite wurde beispielsweise einige hundert Mal aufgerufen, verbanden etliche meine Arbeit auf Wikipedia mit den Grünen und meinem Bürgermeisteramt und schmähten und drohten eben auch in diese Richtung.

Auch hierzu ein Beispiel: Herr H.W. meint. “Und es ist auch gut zu erkennen, was für ein Charakteren sich in der grünen Partei befinden. Es wird im klarer das die Grünen nichts anderes sind als üble Verleumder. Ausser sie entfernen diesen Mann aus der Partei” (Rechtschreibung unkorrigiert).

Am 21. Januar hat Bernhard Lohr dazu diesen Artikel geschrieben. Auch der Münchner Merkur hat berichtet, der Artikel ist leider noch nicht online. Seither wird auf “telegram” und auf anderen einschlägigen Internet-Seiten auch gegen ihn und die SZ gehetzt. Einige mailten auch wild an alle möglichen Parteigremien einschließlich dem Bundesvorstand, andere drohten, meinen Arbeitgeber zu informieren – was ich natürlich längst vorbeugend selbst gemacht hatte.

Am Freitag ging es dann auf die Haarer Polizeistation und alle Mails wurden dort per Stick übergeben. Am Montag will sich die einschlägige Spezialabteilung bei mir melden. Parteifreunde – danke – empfahlen mir, die Hilfestelle “hateaid” zu kontaktieren, was ich heute gemacht habe. Gut, dass es eine solche Anlaufstelle gibt.

Gott sei dank hat die Welle des Shitstorms nicht die Ausmaße angenommen wie bei den bekannte Fällen prominenter Grüner, aber mir reicht es auch so.

Was durch die Vehemenz der Vorwürfe weitgehend in den Hintergrund gedrängt wird, ist die Frage, ob Herr D. zu Recht als Vertreter einer Verschwörungstheorie bezeichnet wird. Er hat Bücher geschrieben, eins, in dem er bestreitet, dass es beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt Tote und Verletzte gegeben hat und schreibt: “Es gibt erhebliche Indizien für die These, dass in Berlin ein Schauspiel im Gewand eines Anschlags, ohne Tote, inszeniert wurde.” (Quelle)und ein weiteres, in dem er die offiziellen Ergebnisse der Untersuchungen der 9/11-Anschläge als “gewaltige Lüge” (Quelle) bezeichnet. Wem das zur Meinungsbildung nicht ausreicht, kann leicht im Netz mehr recherchieren.

Etliche Schreiber beziehen sich auf ein erstinstanzliches Urteil das Herr D. gegen einen anderen Wikipedia-Autor erwirkt hat. Aus meiner Sicht hat dies nichts mit mir zu tun. Das Urteil befasst sich nicht mit der Frage, ob der Kläger ein “Vertreter verschwörungstheoretischer Positionen” genannt werden darf oder nicht, sondern ob Beiträge eines anderen Autors korrekt und gut belegt waren (waren sie laut Gericht nicht, Update 3.2.22: waren sie laut Revisionsinstanz doch).

Nachtrag 31. Januar: Inzwischen wurde ein weiteres “Wikihausen”-Video veröffentlicht. Ich bin zum “Titelhelden” hochgestuft worden und die “investigativen” Autoren haben herausgefunden, dass der Lokaljournalist den Lokalpolitiker schon vor dem Artikel kannte. Außerdem haben besonders helle Leser herausgefunden, dass ich einen Namensvetter habe, und begannen, dessen Wikipedia-Eintrag zu vandalieren.

An neuen Beschimpfungen sind u.a. eingegangen:
24.1.21 Auf Facebook: Autor 1 “Sie betreiben Rufmord”, Autor 2 “Sie sind ekelhaft”, Autor 3 “Umfeld von Herrn Leiner kennt sich mit Rufmord aus”
28.1.21 1:40 “sie sind ein hinterhältiger Denunziant in meinen Augen. Sie haben den Charakter eines Nazi Mitläufers meiner Meihnung nach.”
30.1.21 1:30 “Die friedensverachtenden Taten von Ihnen und ihren verabscheuungswürdigen Mitstreitern auf der Wikipedia sowie auf Psiram stimmen mich fassungslos”

Nachtrag 7. Februar: Auch im Video #50 der Anti-Wikipedia-Kämpfer werden ich und die Journalisten bedacht. Ebenso sind wir Spekulationsgegenstand in einer “Tagesdosis” auf KenFM und in einem NuoViso-Beitrag.  Herr P. meint, mich als “Wikipedia-Verschwörungsmystiker-Blockwart” beschimpfen zu müssen. Und im Artikel über Herrn D. steht inzwischen (noch Shitstorm-frei) “er sagte: „In meinem Buch untersuche ich eben eine ganze Reihe von diesen Anschlägen und komme zur Schlussfolgerung, dass mit der Ausnahme der Anschläge in Oslo und Utoya alle anderen Anschläge wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich staatliche Operationen gewesen sind.””. Manchmal sind doch die eigenen Worte entlarvender als jede Zuschreibung.

Am 2. Februar trugen Unbekannte meine E-Mail-Adresse auf einen SPAM-Generator ein, aber auch dieser Angriff flaute nach ca. 500 Mails wieder ab.

Nachtrag 23. Februar: Herr F. hat einen Verleumdungsartikel über mich in einem notorisch bekannten Corona-Leugner-Pamphlet veröffentlicht. Er beginnt mit der Lüge: “Der zweite Bürgermeister aus München-Haar beteiligt sich an einer Rufmordkampagne in der Wikipedia und wird dabei ertappt.” und wird im Verlauf des Ergusses nicht wirklich besser. Auch Bernhard Lohr von der SZ bekommt seinen Teil ab, weil er einen unabhängigen Zeitungsbeitrag verfasst hat. Erschreckend, wie tief ein entlassener Lehrer sinken kann, gut, dass er nicht mehr vor einer Klasse steht.

Nachtrag 7. Mai: Nachdem es lange Zeit keine neuen Angriffe gab, erhielt ich heute eine Mail von Herrn M., der schreibt:

“Ich bitte um Berücksichtigung des kreativen Verhältnisses Leiners zur Wahrheit, falls er weitere, mir nicht bekannte Verschwörungstheorien über mich verbreitet.
… Ebenso distanziere ich mich nicht von meiner Drohung mit Straf- und Zivilrecht.”
Nachtrag 3. Februar 2022: Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, aber sie mahlen. Im Revisionsprozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz wurde das oben erwähnte erstinstanzliche Urteil – Schmerzensgeld zugunsten von Herrn D. – vollumfänglich aufgehoben und das Gericht stellte fest, dass auch die Bezeichnung “Verschwörungstheoretiker” von den Fakten, sprich Herrn D.s Publikationen, und dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Der Spiegel berichtet darüber unter dem Titel Wer sich so äußert, darf Verschwörungstheoretiker genannt werden. Immer noch ohne Antwort bin ich bei meinen eigenen Anzeigen gegen die übelsten Beschimpfungen.

Nachtrag 7. April 2022: Mein Kontrahent, der Verschwörungserzähler Elias Davidsson, ist gestorben. Tragischerweise starb er an einer Covid-19-Infektion, eine Krankheit, zu der er meinte: “Für mich gibt es keine Covid-Plage” und “Im Schatten der Corona-Krise wird eine globale Digitaldiktatur errichtet.” Unser Disput ist damit zwangsläufig beendet. Seine viel gefährlicheren Hintermänner sind leider nach wie vor aktiv.

Nachtrag 1. Dezember 2023: In der 89. Video-Ausgabe der Gruppe Wikihausen wird zu meiner Überraschung länger über den oben erwähnten Artikel des Münchner Merkurs berichtet, obwohl dieser inzwischen fast drei Jahre alt ist. Natürlich bleibt der Moderator (immer noch Herr F.) bei seiner Erzählung einer aus seiner Sicht unberechtigten Aktion meinerseits. Nahezu traurig-komisch ist es, ihm dabei zuzusehen, wie er sich um das abschließende Urteil herumwindet, das meine Position in vollem Umfang bestätigt.  Viel lieber schwadroniert er über das inzwischen vollumfänglich verworfene erstinstanzliche Urteil, wohl, weil es besser in sein Narrativ passt.

Nachtrag 2. Januar 2024: Nur der Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass auch die #62, die #84 und die #90 dieser Vlogs sich mehr oder minder unqualifiziert mit mir beschäftigen.

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