Hellmuth Plenz-Ohra

Fund

Wenn man aufräumt, findet man gelegentlich Überraschendes. So ging es mir vor wenigen Wochen, als ich ein Buch meines Vaters über die Nazi-“Euthanasie” in Schwaben (Die graune Busse in Schwaben) in die Hand nahm. Ich fand dort eingelegt, zwei Schreiben aus der Haarer “Heil- und Pflegeanstalt” aus der NS-Zeit, deren Besitz mir bisher nicht bewusst war. Auf welchem Weg mein Vater sie erhalten haben könnte, weiß ich nicht genau, vielleicht über seine Bekanntschaft mit dem langjährigen Haarer Pfarrer Steinbauer, Sohn des Theologen und Mitglieds der Bekennenden Kirche Karl Steinbauer.

Hier das Faksimile des einen Dokuments:

Es ist schnell nachzuvollziehen, dass dies die Antwort eines Anwalts an einen Patienten der Haarer Anstalt war. Dieser fordert ihn in deutlich drohendem Ton auf, sich nicht mehr zu beschweren, was dieser offensichtlich nicht zum ersten Mal getan hatte. Historisch interessant ist, dass er sich bei der Abrede des Beschwerdegrunds explizit auf Dr. Hermann Pfannmüller bezieht, dem damaligen Leiter der Anstalt und Täter der in Haar durchgeführten Patientenmorde unter dem Euphemismus der “Euthaniasie”.

Wer war Hellmuth Plenz-Ohra?

Gibt es außer diesem Brief weitere Spuren von ihm? Schnell wurde klar, ja, die gibt es und es verbirgt sich eine tragische Lebensgeschichte, besser, ein weiteres Verbrechen der Nationalsozialisten hinter diesem Namen.

Hellmuth (auch Helmuth und Helmut) Plenz-Ohra wurde am 23. Juni 1902 in Georgenthal in Thüringen geboren. Der kleine Fluss Ohra fließt nur wenige Kilometer am Ort vorbei, sodass zu vermuten ist, dass er diesen Namenszusatz als Künstler angenommen hat. Denn er war Schauspieler in München, wohnte in der Viktoriastr. 3, bevor er nach “Haar” eingeliefert wurde.

Grund dafür bot den Nazis die Tatsache, dass Plenz-Ohra homosexuell war und in einem Prozess in Weimar im Jahr 1937 verfolgt und verurteilt worden war. Zu dieser Verfolgungswelle in Weimar findet man einige Unterlagen, die von einer gezielten Aktion der Nazis berichten (Gaststätte Alexanderhof – Weimar im Nationalsozialismus (weimar-im-ns.de)). Warum er nicht in ein Gefängnis, sondern in eine psychiatrische Klinik zwangseingeliefert wurde, bleibt unklar.

Bei nochmaliger Recherche bin ich auf diesen Hinweis gestoßen: In dem Sonderarchiv des Staatlichen Militärarchivs Moskau gibt es anscheinend Unterlagen der Berliner Kriminalpolizei aus dem Jahr 1944. Darin heißt es:

Allgemeine Korrespondenzen des Reichskriminalpolizeiamts Berlin; 527 Bl., 1944.
Enth. u. a. Personalangelegenheiten, Aufnahme zu Verbindungen zur Bavaria Filmgesellschaft, Verlängerung von Ordnungsstrafen, Gesetze über Streichung von Strafen im Strafregister, Schutzimpfungen gegen Typhus, Verhaftungen wegen Verweigerung von Legitimierungen, Arbeitstagungsberichte, Einsatz der Kriminalpolizei nach Fliegerangriffen, Gnadensachen, Maßnahmen gegen Geisteskranke in Lothringen (Sterilisation), Sicherheitspolizeischule Lebrechtsdorf, Reichszentrale zur Bekämpfung des
Zigeunerunwesens, phrenologische Gutachten, durch Luftschutzmaßnahmen zerstörte Grünflächen in Berlin, Organisation in Ausweichstelle Fürstenberg 01.04.1944, Maßnahmen gegen Schauspieler Helmut Plenz aus München, Einsatz von Zauberkünstlern als Fortbildung für Kriminalisten, Jugendschutzlager Moringen und Uckermark, Impfungen und Entlausungen der Angehörigen des RKPA, Kriminalstatistiken aus Estland und Lettland 1944.

Dies deutet darauf hin, dass er freigelassen, aber in Berlin wieder verurteilt wurde. Danach sind zwei weitere Stationen seines Lebens dokumentiert: Am 2. August 1944 wurde er als Häftling ins KZ Dachau eingewiesen (Häftlingsnummer 84215), aber schon am 17. August ins KZ Mauthausen bei Linz weitertransportiert.

Dort starb er am 6. April 1945 an einer Lungenentzündung, wie hier belegt ist. Er wurde im “Außenlager Linz 3” beerdigt. Im “Raum der Namen” in der KZ-Gedenkstätte wurde ihm eine Erinnerungsbeitrag gewidmet: Personendetails (mauthausen-memorial.org).

Bleibt noch zu erzählen, dass ich diese Unterlagen an das heutige kbo übergeben habe, dort war der Name und das Schreiben bisher nicht bekannt. Herr Prof. Briegel und der Archivar Herr Lüttecke versicherten mir, dass dieser Fund ein wertvolle Hilfe zur weiteren Aufarbeitung der Verbrechen in der Klinik während des Nationalsozialismus sei.

Das zweite Dokument

Ich sprach eingangs von zwei Dokumenten. Das zweite ist auch historisch interessant. Es ist der Weihnachtsrundbrief von Dr. Pfannmüller aus dem Jahr 1941. Wenn es noch Beweise des Ungeists der damaligen Zeit bedürfte, hier wäre ein weiterer:

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