Flugtaxis in Bayern?

Diesen Artikel habe ich vor über fünf Jahren geschrieben und jetzt aus aktuellem Anlass nur geringfügig aktualisiert. Der Anlass ist der Wunsch des bayrischen MP Söder im April 2024, das insolvenzbedrohte Unternehmen Volocopter unbedingt nach Bayern zu locken. Erst einmal ist das gängige Wirtschaftspolitik. Allerdings will er und die CSU dafür eine Bürgschaft von 100 Mio € leisten, die bei der Unternehmenslage de facto einem Zuschuss gleichkommt.

Aber hier mein eher fachlich als politisch ausgerichteter Beitrag:

Flugtaxis

Am 4. Dezember 2018 fand in Nürnberg der Digitalgipfel der Bundesregierung statt. Die Politprominenz war zahlreich vertreten: Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder waren auch die Minister Altmaier, Karliczek, Barley und Bär anwesend, sowie hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Forschung. Im Eingangsbereich stand unübersehbar ein Modell eines Lilium Jets, ein Senkrechtstarter der Firma Lilium GmbH in Oberpfaffenhofen, der im Frühjahr 2017 bereits einen unbemannten Jungfernflug absolviert hat. Vor diesem Prototyp wurden Interviews mit vielen hochrangigen Besuchern geführt und nicht nur Dorothee Bär sondern auch viele andere in Politik und Wirtschaft sind ja davon überzeugt, dass diese Flugzeuge bald einen wesentlichen Betrag zur Lösung unserer (Nah-)Verkehrsprobleme leisten werden.

Daher ist es mir ein Anliegen, Potenziale und Grenzen dieser neuen Fluggeräte realistisch zu bewerten. Neuartig ist dabei, dass es sich ausnahmslos um elektrische Fluggeräte handelt, die senkrecht starten und landen können. Dies wird im englischen Sprachraum als electrical vertical take off and landing, kurz eVTOL bezeichnet. Senkrechtstarter sind an sich nichts neues, Hubschrauber unterschiedlicher Größe und Leistungsfähigkeit gibt es seit ca. 80 Jahren. Auch Helikopter-Shuttledienste, besonders zwischen Flughäfen und Innenstätten sind in New York und besonders in Sao Paulo seit langem etabliert. Allerdings sind diese zu laut, teuer und energieverbrauchend, als dass sie sich als Massenverkehrsmittel etablieren konnten. Genau hier setzen die neuen Lösungen an und versprechen, so leise und energieeffizient werden zu können, dass sie weite Verbreitung erreichen können und spürbar zur Entlastung der überlasteten (Nah-)Verkehrssysteme betragen werden.

Knackpunkte ist dabei zuerst einmal der Energieverbrauch und die Frage „Kann mit einer heute verfügbaren Batterie genügend Strom für eine wirtschaftlich interessante Reichweite gespeichert werden?“ Um dies beurteilen zu können, sind ein paar Überschlagsrechnungen und Vergleichsdaten hilfreich. Zum einen wissen wir von Elektroautos, dass sie für um eine kWh zu speichern, ca. 5-7 kg Batterien benötigen. Auf 100 km brauchen E-Autos zwischen 13 und 22 kWh, was zu 80-150 kg Batteriegewicht pro 100 km Reichweite führt. Wenn man das, ganz grob, mit einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor vergleicht, dann sind 6-12 Liter Benzinverbrauch auf 100 km nicht ganz unrealistisch, was, wenn man noch etwas Tankgewicht hinzuzählt, ungefähr zum Faktor 10 zwischen den Gewichten des Energieträgers bei gleicher Reichweite führt.

Weiter ist es hilfreich, den Verbrauch gängiger kleiner Flugzeuge zu kennen. So verbraucht einen Cessna 30-35 Liter pro Stunde und fliegt damit mit 4 Personen ca. 210 km weit, verbraucht also ca. 15 l auf 100 km.

Ein Unternehmen und seine Entwicklung verfolge ich schon länger: Der Lilium Jet, der sich durch eine besondere Konstruktion schwenkbarer Mantelpropeller auszeichnet. Wie sieht die Kerndaten des Lilium Jets aus? Der in Entwicklung befindliche Siebensitzer soll eine Batterie mit einer Speicherkapazität von ca. 300 kWh besitzen und damit ca. 150 km weit fliegen können. Eine kurze Rechnung führt zu dem Ergebnis, dass er vollbesetzt ca. 33 kWh auf 100 Personenkilometer brauchen dürfte. Dies entspricht in etwa dem Doppelten eines mit nur einer Person besetzten E-Autos.

Man kann also sagen, dass die heute konzipierten Flugtaxis hohen Energieverbrauch mit geringer Reichweite verbinden und schon aus diesem Grund kaum einen sinnvollen Beitrag zur Mobilität der Zukunft leisten können. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer offener Fragen, die die baldige Einführung von Flugtaxis zweifelhaft machen.

Nach heutigen Luftfahrregularien muss ein Fluggerät über mindestens Treibstoffreserven für 30 Minuten Flug verfügen (Quelle: https://www.wired.co.uk/article/flying-cars-uber-lithium-ion-batteries). Ein Elektro-Flugtaxi, das maximal 27 Minuten fliegen kann, dürfte nach diesen Vorschriften also gar nicht erst abheben. Selbst wenn man diese Regeln änderte, was vermutlich lange dauern würde, wäre die Sicherheitsreserve eine deutliche Schwachstelle dieser Fluggeräte. Die zweite regulatorische Herausforderung betrifft die Flugaufsicht. Heute muss jedes Flugobjekt durch die Flugaufsicht überwacht bzw. gesteuert werden. Man müsste also nicht nur den Luftraum in und über den Städten durch die Flugsicherung erfassen, sondern auch zigtausende zusätzliche Flugobjekte. Ja, auch hier könnte man die Rahmenbedingungen ändern, aber dies müsste im internationalen Rahmen geschehen und wäre zumindest langwierig und aufwändig.

Viele der Start-ups verbinden die Idee des elektrischen Fliegens mit der Vision des autonomen Fliegens. Aus Effizienzsicht wäre das wünschenswert, weil ein Pilot erhebliches Zusatzgewicht bedeutet, das besser in Batteriekapazität investiert wäre. Auch ist autonomes Fliegen nach Expertenmeinung im Grundsatz leichter zu realisieren als autonomes Fahren, da die Menge der Störmöglichkeiten und überkomplexen Situationen in der Luft geringer ist. Andererseits sind potentielle Unfallauswirkungen für Insassen wie für Menschen am Boden deutlich höher, entsprechend höher müsste man auch die Sicherheitsanforderungen ansetzen. Autonomes Fliegen im bodennahen Bereich wäre durchaus ein interessantes Forschungsthema, ist aber vom Praxiseinsatz sicher noch Jahrzehnte entfernt. Zumindest dürfte dies für Deutschland zutreffen, andere Länder könnten schnellere Teststrecken freigeben.

Die wahrscheinlich nächstliegende Hürde für Flugtaxis ist aber ihre Akzeptanz durch die Menschen, über deren Köpfen sie hinwegfliegen sollen. Zum einen ist die Lärmfrage zu klären: Hier gibt es bisher nur Versprechen, dass E-Flieger nur ein leises Surren verursachen sollen. Skepsis, besonders beim Start und Landeanflug, sei erlaubt. Zum anderen müsste in den vollen Innenstädten auch noch umfangreiche Infrastruktur aufgebaut werden, denn ohne spezielle Start-/Landeplätze ist das Konzept nicht realisierbar.

Schließlich sollte man noch auf das Argument der E-Flieger-Firmen eingehen, dass sie einen Betrag gegen den Verkehrsinfarkt in unseren Städten leisten wollen. Nimmt die Region München (S-Bahn-Bereich) als Referenz, dann finden dort täglich ca. 5 Millionen Verkehrsbewegungen statt. Um einen messbaren Entlastungseffekt zu erzielen, müssten mindestens 2-3% der Bewegungen aufs Flugtaxi verlagert werden. Selbst bei 4-Sitzern würde das mindestens 25.000 Flüge pro Tag bedeuten. Wenn z. B. die Hälfte davon die Strecke Hauptbahnhof – Flughafen bedienen sollten, würde dies auf etwa 12.500 Starts, bzw. Landungen am Hauptbahnhof hinauslaufen. Dies bedeutet alle 5 Sekunden ein Start oder eine Landung.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der momentane Hype um Flugtaxis muss aus guten Gründen bezweifelt werden. Sie werden in absehbarer Zeit keinen spürbaren Beitrag zur Lösung von Verkehrsproblemen in Ballungsräumen leisten und können wegen ihres hohen Energieverbrauchs keinesfalls als ein ökologisch vertretbares Verkehrsmittel gelten. Wenn sich die Energiedichte von Batterien erheblich steigern lässt und umfangreiche regulatorische Änderungen in der Flugsicherung durchgeführt werden, könnten sich Flugtaxis eventuell nach dem Jahr 2030 eine Verkehrsnische erobern.

Diesem Statement von 2018 ist auch 2024 nichts Wesentliches hinzuzufügen!

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